BFH: Abgrenzung von Alt- und Neuzusagen bei Direktversicherungen
Steuerlich ist eine Neuzusage auch ohne neues biometrisches Risiko möglich
Leitsätze der Entscheidung
1. Der Zeitpunkt, zu dem eine Versorgungszusage erstmalig erteilt wurde, bestimmt sich nach der zu einem Rechtsanspruch führenden arbeitsrechtlichen bzw. betriebsrentenrechtlichen Verpflichtungserklärung des Arbeitgebers (Anschluss an BMF-Schreiben vom 24.07.2013, BStBl I 2013, 1022, Rz 350).
2. Hat der Arbeitgeber zugunsten des Arbeitnehmers mehrere Direktversicherungen abgeschlossen, ist die Frage, ob diese auf verschiedenen Versorgungszusagen beruhen, unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu beantworten. Das Fehlen oder Vorliegen eines zusätzlichen biometrischen Risikos kann dabei lediglich als ein Indiz herangezogen werden. Es ist keine gesetzliche Voraussetzung für eine Neuzusage (entgegen BMF-Schreiben vom 24.07.2013, BStBl I 2013, 1022, Rz 355).
BFH, Urteil vom 01.09.2021 – VI R 21/19
Worum geht es?
Der Arbeitnehmer hatte 1997 eine Versorgungszusage im Durchführungsweg einer gemäß § 40b EStG in der Fassung am 31.12.2004 (a. F.) pauschalversteuerten Direktversicherung erhalten. Im Jahr 2014 bekam er aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs anlässlich der Auflösung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, die im Wege der Entgeltumwandlung über den Vervielfältiger gemäß § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG steuerfrei in einen anderen Direktversicherungsvertrag bei einem anderen Versicherer eingebracht wurde.
Die Finanzverwaltung bezweifelte die Steuerfreiheit der Beitragszahlung gemäß § 3 Nr. 63 EStG in den zweiten Versicherungsvertrag. Sie nahm an, dass der Arbeitnehmer im Rahmen der ersten gemäß § 40b EStG pauschalversteuerten Direktversicherung insgesamt auf die Steuerfreiheit der Beiträge zugunsten der weiteren Anwendung des § 40b EStG a. F. verzichtet habe.
Entscheidung
Der BFH beurteilt die 2014 für den Kläger eingerichtete zweite Direktversicherung als Neuzusage.
Ab dem Jahr 2005 wurde durch das Alterseinkünftegesetz auch der Durchführungsweg der Direktversicherung in die steuerliche Förderung nach § 3 Nr. 63 EStG einbezogen. Für ab 2005 erteilte Direktversicherungszusagen (Neuzusagen) entfiel gleichzeitig die Möglichkeit der Pauschalbesteuerung nach § 40b EStG a. F. Für die Anwendung von § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG (Vervielfältiger) sowie § 40b Abs. 1 und Abs. 2 EStG a.F. kommt es darauf an, ob die entsprechenden Beiträge aufgrund einer Versorgungszusage geleistet werden, die vor dem 01.01.2005 (Altzusage) oder nach dem 31.12.2004 (Neuzusage) erteilt wurde (§ 52 Abs. 4 Satz 10 EStG).
Zur Abgrenzung von Alt- und Neuzusagen hat sich das BMF in seinem Schreiben vom 24.07.2013, Rz 349ff. geäußert.
Für die obersten Finanzrichter bedurfte es, anders als im genannten BMF-Schreiben dargelegt, nicht zwingend eines zusätzlichen biometrischen Risikos, um eine Neuzusage zu begründen. Das Fehlen oder das Vorliegen eines zusätzlichen biometrischen Risikos könne ein Indiz zur Abgrenzung sein, eine gesetzliche Voraussetzung für das Vorliegen einer weiteren, selbstständigen Versorgungszusage sei es nicht. Vielmehr komme es auf alle maßgebenden Umstände des Einzelfalls an. Grundsätzlich sei bei einer Neuzusage die Anwendung des § 40b EStG a. F. ausgeschlossen, und die Steuerfreiheit des § 3 Nr. 63 EStG eröffnet.
Ob aber auch die Vervielfältigungsregel greife, müsse beim Finanzgericht geprüft werden, weshalb die Rechtssache dorthin zurückverwiesen wurde.
Bewertung
Der BFH entwickelt in der Entscheidung seine eigene Auffassung zur Abgrenzung der Alt- von der Neuzusage. Im Kern kommt es auf eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalles an. Für den BFH kann eine Neuzusage vorliegen, auch wenn kein zusätzliches biometrisches Risiko in den zweiten Versicherungsvertrag eingeschlossen wird.