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  5. BAG-Urteil vom 09.05.2023

BAG: Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit bei Ablösung von Versorgungsregelungen

Verweist ein Arbeitgeber in einem Formulararbeitsvertrag auf die für die betriebliche Altersversorgung geltenden Bestimmungen, ist dies regelmäßig als dynamische Verweisung zu werten.

Ein solcher Verweis ist für die Arbeitnehmer nur dann zumutbar im Sinne des AGB-Rechts (§§ 307 ff. BGB), wenn die ablösende Neuregelung dem vom BAG entwickelten dreistufigen Prüfungsschema zur Wahrung von Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit entspricht. Für kirchliche Arbeitgeber gilt insoweit keine Ausnahme.

BAG, Urteil vom 09.05.2023 – 3 AZR 226/22

Worum geht es?

Die 1955 geborene Klägerin war seit 1986 bei der beklagten ev. Kirche in Sachsen als Sachbearbeiterin in der Kirchenamtsstelle, ab 2008 im Grundstücksamt beschäftigt. Mit Wirkung zum 1.07.1992 trat bei der Beklagten eine Verordnung über die Gewährung eines Treuegeldes in Abhängigkeit von der Dienstzeit in Kraft. Im Januar 1993 vereinbarten die Parteien einen neuen „Dienstvertrag“ im Sinne eines Nachtrages zum bisherigen Arbeitsvertrag. Der „neue“ Vertrag regelte in § 5: „Die zusätzliche Altersversorgung wird nach dem in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens geltenden Recht gewährt“.

Zum 1. Juli 1994 trat eine neue Verordnung zur Regelung des Treugeldes in Kraft (VKAV 94) und setzte die vorherige Verordnung außer Kraft. Mit Wirkung zum 01.07.1997 trat wiederum eine neue Ordnung in Kraft (KAV 97). Diese sah eine Gesamtversorgung vor. Zum Anwendungsbereich dieser Zusage gehörte die Klägerin nicht. Gleichzeitig trat ein kirchliches Zusatzversorgungsgesetz (ZVG) in Kraft. Diese regelte für die weiteren Arbeitnehmer – wie auch die Klägerin – eine Aufnahme in eine kirchliche Zusatzversorgungskasse.

Aufgrund eines BAG-Urteils wurde die KAV 97 zum 01.01.2016 von der Beklagten nochmals geändert: Arbeitnehmer der Zusatzversorgungskasse deren Leistungen hinter denen der VKAV 94 zurückblieben, erhielten dadurch einen Anspruch auf Ergänzungsleistungen in entsprechender Höhe.

Seit dem 01.07.2019 bezieht die Klägerin eine gesetzliche Altersrente sowie eine Leistung aus der Zusatzversorgungskasse in Höhe von 242,56 EUR brutto. Der Antrag der Klägerin auf Ergänzungsleistung wurde von der Beklagten abgelehnt, da der Klägerin nach der VKAV 94 lediglich 168,96 EUR Treuegeld monatlich zugestanden hätten.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass durch das ZVG nicht wirksam in ihren Anspruch aus der VKAV 94 eingegriffen werden konnte, weil ihr in der durch diese ab 01.01.1997 eingeführte Versorgung keine Startgutschrift erteilt worden sei. Sie klagte daher zusätzlich auf ein monatliches Treuegeld von 94,53 EUR sowie die jährliche Dynamisierung dieses Treuegeldes um 1%.

Entscheidung

Die Klage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Nach Ansicht des BAG wurde die VKAV 94 durch die KAV 97 und das ZVG wirksam abgelöst. § 5 des Dienstvertrags der Klägerin erfasst diese Änderungen als dynamische Verweisung.

Das BAG geht davon aus, dass ein Arbeitgeber bei einem Verweis nur eine rechtlich zulässige Regelung vereinbaren will. Es sollen daher von diesem nur Regelungen erfasst sein, die den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit (sog. Dreistufentheorie) entsprechen. Aus diesen Grundsätzen folgt, dass die Gründe, die den Eingriff rechtfertigen sollen, um so gewichtiger sein müssen, je stärker der Besitzstand ist, in den eingegriffen wird (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung; vgl. BAG 18.09.2012 – 3 AZR 415/10).

Der im Vertrauen auf den Inhalt der Versorgungsordnung bereits erdiente Teilbetrag kann nur in seltenen Ausnahmefällen entzogen werden. Zuwächse, die sich dienstzeitunabhängig aus variablen Berechnungsfaktoren ergeben (erdiente Dynamik), können nur aus triftigen Gründen geschmälert werden. Für Eingriffe in dienstzeitabhängige, noch nicht erdiente Zuwachsraten genügen sachlich-proportionale Gründe.

Durch die Ablösung der Versorgungszusage wurde in diesem Fall jedoch weder in den erdienten Teilbetrag noch in die erdiente Dynamik oder künftige Zuwächse eingegriffen. Vielmehr erhalte die Klägerin nach der KAV 97 in Verbindung mit dem ZVG eine höhere Leistung der betrieblichen Altersversorgung, als sie sie nach der VKAV 94 erhalten würde. Damit sei die durch das dreistufige Prüfungsschema bestimmten Grenzen eingehalten.

Die Ablösung der Versorgungsregelungen ist daher wirksam erfolgt.

Bewertung

Mit der Entscheidung festigt das BAG seine Rechtsansicht, dass ein Verweis auf Versorgungsregelungen in der Regel als dynamisch zu bewerten ist. Es stellt klar, dass auch für kirchliche Arbeitgeber ein solcher ausdrücklicher Verweis erforderlich ist, weil ein kirchenrechtlicher Rechtssetzungsakt („Gesetz“) allein nicht ausreicht, um unmittelbar Rechtswirkung zu entfalten. Im Weiteren bestätigt das Gericht die Allgemeingültigkeit seiner Dreistufentheorie zur Ablösung bzw. Änderung von Versorgungszusagen. Ein Arbeitgeber benötigt insofern unterschiedlich gewichtete Eingriffsgründe je nach Besitzstand der Arbeitnehmer. Arbeitgeber sollten in Arbeitsverträgen auf einen dynamischen Verweis auf die jeweiligen Versorgungsregelungen achten, um Problemen bei Änderungen vorzubeugen. Zudem sollten sie bei Anpassungen einer Versorgungsordnung stets die strengen Voraussetzungen der Dreistufentheorie des BAG im Blick haben. Ansonsten besteht das Risiko erheblicher Nachforderungen von Versorgungsberechtigten als auch ggf. der Hinterbliebenen.

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