Zeitwertkontenmodelle: Sozialversicherungsrechtliche Anforderungen
In unserem IPM-Newsletter 03/2022 haben wir Ihnen einen ersten Überblick über Zeitwertkontenmodelle als eine Form von Arbeitszeitmodellen gegeben, welcher im Newsletter 02/2023 durch die Darstellung der unterschiedlichen Formen von Arbeitszeitmodellen und im Newsletter 03/2023 durch die Funktionsweise von Zeitwertkontenmodellen ergänzt worden ist. Im vierten Teil unserer Reihe wollen wir die sozialversicherungsrechtlichen Regelungen zu Zeitwertkonten beleuchten.
Schriftliche Wertguthabenvereinbarung/ Führung „in Geld“
Gemäß § 7b SGB IV muss die Wertguthabenvereinbarung zwingend in Schriftform erfolgen. Für Wertkontenmodelle, die nach dem 01.01.2009 eingerichtet wurden, ist die Führung „in Geld“ zwingend vorgeschrieben. Für bestehende „in Zeit“ geführte Wertkontenmodelle gilt ein Bestandsschutz. Ferner muss der Arbeitgeber den Beschäftigten mindestens jährlich in Textform über die Höhe seines im Wertguthaben enthaltenen Arbeitsentgeltguthabens unterrichten. Diese Informationspflicht erstreckt sich nicht auf den ebenfalls im Wertguthaben enthaltenen Arbeitgeberanteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag.
Verzinsungszusage
In der Regel sagt der Arbeitgeber eine Verzinsung des vom Beschäftigten eingebrachten Arbeitsentgeltguthabens zu. Bei „in Geld“ geführten Wertkonten unterscheidet man hinsichtlich der Zinszusage zwischen dem sogenannten Partizipationsmodell, bei dem der Arbeitnehmer an den Erträgen der Rückdeckung beteiligt wird, und Modellen mit einem gesonderten Verzinsungsmaßstab. Hier sagt der Arbeitgeber unabhängig von den Erträgen der Rückdeckung eine bestimmte feste oder variable Verzinsung zu und steht für diese Verzinsung ein.
Gebot der sicheren Anlage (Werterhaltungsgarantie)
Werden die Wertguthaben vom Arbeitgeber extern angelegt, muss das „Gebot der sicheren Anlage“ beachtet werden. Zum einen müssen im Freistellungsfall die angelegten Beträge (gegebenenfalls nach Kosten) wieder an den Arbeitgeber zurückfließen. Zum anderen sind die Erfüllung der Anlagevorschriften für die Sozialversicherungsträger und eine maximale Aktienquote von 20% einzuhalten.
Insolvenzsicherungspflicht
Wertguthaben aus Altersteilzeit und Zeitwertkonten sind gegen das Risiko der Insolvenz des Arbeitgebers zu sichern,
- soweit kein Anspruch auf Insolvenzgeld besteht und
- wenn das Wertguthaben des Beschäftigten einschließlich des darin enthaltenen Gesamtsozialversicherungsbeitrags einen Betrag in Höhe der monatlichen Bezugsgröße übersteigt.
Dabei sind gemäß § 7e SGB IV lediglich Treuhand- und Verpfändungsmodelle zulässig und der Arbeitgeber muss den Mitarbeiter schriftlich (mit eigenhändiger Unterschrift) über die getroffenen Vorkehrungen unterrichten. Das Wertguthaben beinhaltet das Arbeitsentgeltguthaben des Arbeitnehmers und zusätzlich den auf dieses Arbeitsentgeltguthaben entfallenden Arbeitgeberanteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag. Bei Verstoß des Arbeitgebers gegen die Insolvenzsicherungsverpflichtung können sowohl der Arbeitnehmer als auch die Sozialversicherungsträger (z.B. nach einer Prüfung) das Wertguthaben auflösen und einen sogenannten Störfall auslösen. Darüber hinaus hat der Arbeitnehmer gegen seinen Arbeitgeber einen Schadenersatzanspruch (Durchgriffshaftung).
Übertragung des Wertguthabens
Bei Arbeitgeberwechsel hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Übertragung des Wertguthabens, wenn der neue Arbeitgeber mit der Übernahme einverstanden ist.
Ist der neue Arbeitgeber nicht bereit, das Wertguthaben zu übernehmen, kommt eine Übertragung auf die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) in Betracht, wenn das Wertguthaben einschließlich des Gesamtsozialversicherungsbeitrags einen Betrag in Höhe des Sechsfachen der monatlichen Bezugsgröße übersteigt. Eine einmal erfolgte Übertragung kann jedoch nicht rückgängig gemacht werden. Vor der Inanspruchnahme des Wertguthabens muss der Arbeitnehmer einen entsprechenden Antrag bei der DRV stellen. Die Kosten für Übertragung, Verwaltung und Verwendung des Wertguthabens durch die DRV trägt der Arbeitnehmer.
Wertguthabenbegriff
Seit dem 01.01.2009 muss der Arbeitgeber zusammen mit der Mitarbeiterdotierung auch den auf die Dotierung entfallenden Arbeitgeberanteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag ohne Deckelung durch die Beitragsbemessungsgrenzen mit in das Wertguthaben einstellen. Es gelten dabei die zum Dotierungszeitpunkt gültigen Beitragssätze.
Zuschüsse in die private Kranken- und Pflegeversicherung müssen nicht mit in das Wertguthaben eingestellt werden.
Bei der Freistellung wird das Freistellungsgehalt zuzüglich des darauf entfallenden Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag aus dem Wertguthaben entnommen. Steigen die Beitragssätze zwischen Dotierung und Entnahme, bleibt das Wertguthaben insgesamt unverändert („statisch“), d.h. es reduziert sich das im Wertguthaben enthaltene Arbeitsentgeltguthaben des Mitarbeiters und somit die Freistellungsdauer entsprechend.
Bei diesen sogenannten „statischen“ Modell trägt somit der Mitarbeiter Chancen und Risiken der Beitragssatzänderungen allein.
Freistellungszwecke
Die Wertguthabenvereinbarung sieht in der Regel auch eine Regelung zur Verwendung von Wertguthaben vor.
Denkbar ist eine Verwendung zur vollständigen Freistellung (unter Beibehalt der geschuldeten Arbeitszeit) oder zur Aufstockung einer Arbeitszeitverringerung (im Folgenden einheitlich „Freistellung“ genannt). In der Wertguthabenvereinbarung bestimmt der Arbeitgeber, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Freistellungsphase erfolgen kann.
Ist eine Freistellungsphase nur zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit vorgesehen, spricht man in der Regel von einem Vorruhestandskonto. Kommen jedoch auch andere Freistellungszwecke in Betracht, wie z.B. für Weiterbildungsmaßnahmen oder für persönliche Auszeiten, spricht man von einem Langzeitkonto oder Lebensarbeitszeitkonto.
Neben diesen vertraglichen Freistellungszwecken sieht das SGB IV auch gesetzliche Zwecke vor.
Danach kann ein aufgebautes Wertguthaben auch zur Finanzierung einer Freistellung aufgrund eines gesetzlichen Anspruchs auf unentgeltliche Freistellung eingesetzt werden. Ein gesetzlicher Freistellungsanspruch besteht zum Beispiel bei der Pflege naher Angehöriger oder während der Erziehung eines Kindes.
Gesetzliche Freistellungszwecke kann der Arbeitgeber nur durch einen ausdrücklichen Ausschluss in der Wertguthabenvereinbarung vermeiden.
Eine Verwendung des Wertguthabens zu anderen Zwecken als zur Freistellung sollte die Wertguthabenvereinbarung nicht vorsehen. Andernfalls ist die lohnsteuerrechtliche Anerkennung fraglich, da Entnahmen außerhalb einer Freistellung nur bei existenziellen Notlagen zulässig sind.
Höhe des Freistellungsgehalts
Die Höhe des Freistellungsgehalts darf nicht unangemessen von dem Gehalt der letzten 12 Monate vor Beginn der Freistellungsphase abweichen, somit nicht 70% des Bruttogehalts der vorangegangenen 12 Monate unter oder 130% überschreiten.
Störfall
Wenn das Wertguthaben nicht für eine Freistellungsphase verwendet wird, liegt sozialversicherungsrechtlich ein sogenannter Störfall vor.
Störfälle sind z.B.
- Auszahlung von unverbrauchtem Wertguthaben bei Ausscheiden aus dem Unternehmen,
- Tod des Arbeitnehmers oder
- Insolvenz des Arbeitgebers
In diesen Fällen erfolgt eine Auszahlung des Wertguthabens an den Arbeitnehmer. Der Auszahlungsbetrag ist dabei in einem besonderen Verfahren (Anwendung der SV-Luft) nachzuverbeitragen. Steuerrechtlich fällt im Auszahlungsfall Lohnsteuer an, wobei die Fünftelungsregelung („Arbeitslohn für mehrjährige Tätigkeit“) gemäß EStG anwendbar ist, wenn das Wertguthaben über einen Zeitraum von mehr als 12 Monaten aufgebaut wurde.
Administrationspflichten
Durch die Einrichtung eines Wertkontenmodells werden sozialversicherungs-, arbeits- und steuerrechtliche Administrationspflichten des Arbeitgebers begründet.
Hierzu gehört insbesondere Folgendes:
- Information über den getroffenen Insolvenzschutz
- mindestens jährliche Information über das im Wertguthaben enthaltene Arbeitsentgeltguthaben (soweit nicht eine Info über das Wertguthaben ausreicht)
- Dokumentation der Dotierungen und Entnahmen im Lohn- und Gehaltsabrechnungssystem und auf der Gehaltsabrechnung
- Ermittlung und Führung der sogenannten SV-Lüfte
Der Arbeitgeber muss sicherstellen, dass er diesen Administrationspflichten nachkommt.
Zeitwertkontengarantie
Dotierungen in ein Wertkontenmodell sind nur dann lohnsteuerfrei, wenn spätestens mit Beginn der Freistellung ein Rückfluss der Summe aller Dotierungen (brutto – ohne Arbeitgeberanteil) gewährleistet ist (steuerrechtliche Werterhaltungsgarantie).
Die Zeitwertkontengarantie (BMF-Schreiben 17.06.2009) geht über die Werterhaltungsgarantie hinaus. Die Zeitwertkontengarantie verlangt, dass der Mitarbeiter im Freistellungsfall mindestens „seine Dotierung“ (ohne AG-Anteil SV und ohne die beitragsbezogenen Kosten) zurückerhält.